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Abkürzungen in allen Branchen

Veröffentlicht am 16. April 2021

Letzte Woche habe ich hier darüber geschrieben, warum es sich lohnt, sich mit seiner eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Ich habe in den letzten zwei Jahren viel davon profitiert und bin mir sowohl meiner Stärken wie auch meiner Schwächen bewusster geworden. Auch wenn ich in Beratungen einen klar ressourcenorientierten Ansatz bevorzuge, so bin ich doch der Meinung, dass man gut daran tut, auch seine Schwächen im Auge zu behalten. Denn die meisten sind nicht unveränderbar. Einige sind im Berufsleben hinderlich. Deshalb bearbeitet ich seit langem meine Gewissenhaftigkeit.

Im Gymi habe ich gelernt, mit meiner Zeit zu haushalten. Denn der Leistungssport nahm viel Zeit ein und das Erledigen von Hausaufgaben musste meist in der Mittagspause Platz finden. Dennoch war ich nie der Typ, der unvorbereitet an Prüfungen gehen konnte und wollte. Und da viele meiner «Schwimmgspänli» ebenfalls Gymischüler*innen oder Studierende waren, war es üblich, dass am Wochenende in den Wettkampftaschen Schulbücher oder Skripte mitgetragen wurden, um die Zeit zwischen den Starts fürs Lernen zu nutzen. Ich mochte die Schule, lieb(t)e es, Neues zu lernen und deshalb machte mir das eigentlich gar nichts aus. Besonders toll waren die Situationen, wo sich ältere Schwimmer dazugestellten und fragten, ob sie helfen konnten. Und da liess ich mir die Physik natürlich gerne von einem der grösseren Jungs erklären. Vor allem von einem – wir sind heute verheiratet.

Als ich dann an die Uni ging, merkte ich, dass ich im Vergleich zu anderen wohl zu den gewissenhafteren Studierenden gehörte. Ich besuchte die Vorlesungen und die Übungen, nahm mir Zeit für die Vor- und Nachbereitung und konnte sogar den Lernphasen in den Semesterferien positive Seiten abgewinnen. Solange ich genug Auslauf in Form von Schwimm- oder Laufrunden hatte, meine jungen Wettkampfschwimmer*innen trainieren durfte und Zeit mit meinen Freund*innen verbringen konnte, war alles im Lot. Sicherlich hätte ich das Studium auch bestanden mit weniger Einsatz, aber es war zu dieser Zeit gut so, auch wenn mich das Angebot ein Doktorat anzuhängen, dann doch etwas irritierte, da mir klar war, dass ich mit 26 doch zwingend jetzt mal «richtig» arbeiten wollte. Sorry an alle Doktorierenden da draussen, aber so hab ich das zu dieser Zeit gesehen. Mir war beim Schreiben der Masterarbeit klar, dass ich nicht in den Naturwissenschaften bleiben wollte und forschen nicht mein Ding ist.

Also: Sprung in die Wirtschaft in einem Zwischenjahr nach sechs Semester Studium. Ich hatte mich für ein Beratungsunternehmen entschieden und wurde primär im Bereich der Politikberatung eingesetzt. Tolles Team, spannende Themen, endlich das Wissen in konkreten Projekten anwenden. Der Unterschied zwischen Studium und Wirtschaft wurde mir an Tag 5 klar als das GL-Mitglied, das für mich zuständig war, mir ein Projekt überreichte und sagte: «Lies dir den Auftrag durch, recherchiere zu diesem Thema und stelle deine Findings in einer Powerpoint-Präsi zusammen.» Ich nickte und freute mich, selbständig was machen zu können. Dann sagte er noch: «Dein Budget ist 20 Stunden». Ich sah ihn wohl etwas fragend an, deshalb ergänzte er: "«Der Kostenrahmen würde es einem Senior Berater erlauben, fünf Stunden daran zu arbeiten, du hast weniger Erfahrung deshalb rechnen wir mit einem tieferen Stundenansatz, darum liegen 20 Stunden drin.» Das war das kalte Wasser aus der gemütlichen Studi-Situation, wo ich solange an Projekten und Arbeiten feilen konnte, wie es mir gefiel. Als ich die Fragestellung des Kunden erfasst hatte, war mir klar, dass ich auch vier Wochen zu diesem Thema recherchieren könnte, aber das lag nun mal nicht drin. Pragmatismus war gefragt.

Pragmatisch und selektiv zu sein, das habe ich während dieser Arbeitserfahrung gelernt und ich bin sehr dankbar, dass mir das so rasch beigebracht wurde. Aber es ist wie mit der Offenheit für Neues. Auch die Gewissenhaftigkeit ist eine Eigenschaft, die zu mir gehört. So besuchte ich auch im MAS alle Lektionen und bereitete den Unterricht vor. Und gerade jetzt, wo ich mit meiner Masterarbeit beschäftigt bin und gefühlt noch viel Zeit habe bis zum Abgabetermin, macht sich die Gewissenhaftigkeit wieder breit und ich wäre gern auch dort pragmatischer. Ich würde mich heute nicht mehr als Perfektionistin bezeichnen, einfach aus dem Eingeständnis heraus, dass ich sonst nicht alles schaffen würde, was ich anpacke. An manchen Stellen gelingt es mir wunderbar, pragmatisch zu handeln und nicht perfekt sein zu wollen.

Wenn ich es nicht durch meine erste berufliche Erfahrung gelernt hätte, dann spätestens als Mami. Denn das ist eine Aufgabe, die man sowieso nicht perfekt hinkriegt. Und – davon bin ich heute überzeugt – das ist auch gar nicht nötig. Wichtig ist, dass man im Blick behält, worauf es wirklich ankommt, denn jeder Tag hat nur 24 Stunden. Und die verbringe ich mit meiner Tochter nun mal lieber auf dem Spielplatz oder in der Badi als beim Aufräumen der Wohnung. Ein Glacé-Fleck auf der Kleidung? Easy, deshalb trägt die kleine Prinzessin keine weissen Oberteile.

Treffe ich auf Kund*innen mit einer sehr hoch ausgeprägten Gewissenhaftigkeit, so gehe ich immer darauf ein, wie sich das in ihrem Alltag zeigt. Und oft führt es dazu, dass die eine oder andere Massnahme entsteht, um mit diesem Persönlichkeitsmerkmal besser umzugehen. Denn so sehr Gewissenhaftigkeit an manchen Orten geschätzt wird, so gibt es viele Bereiche, wo der Pragmatismus gewinnt. Und so gilt es abzuwägen, wo was besser angebracht ist. Das ist nicht immer einfach, aber auch hier hilft das Bewusstsein für die eigene Persönlichkeit dabei, besser mit sich selbst umzugehen und seine Stärken zu stärken ohne an den zu hohen (eigenen) Erwartungen zu scheitern. Und das heisst auch nachsichtig mit sich selbst zu sein, wenn es mal nicht gelingt.

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