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Abkürzungen in allen Branchen

Veröffentlicht am 30. Oktober 2020

Ich war schon immer ein Mensch, der sich für viele verschiedene Themen und Bereiche interessiert hat. So habe ich es nach einer intensiven Zeit als Leistungssportlerin genossen, mich während des Studiums durch (fast) das gesamte Angebot des akademischen Sportverbandes zu testen. Während meines Geographiestudiums hatte ich sechs statt der vorgegebenen vier Nebenfächer und auch in meiner beruflichen Laufbahn habe ich immer wieder die Weichen neu gestellt. Die bessere Kenntnis über meine Persönlichkeitsdimensionen haben mir einiges erklärt.

Als ich vor einem Jahr einen Persönlichkeitsfragebogen ausgefüllt habe und die Dimension «Offenheit für neue Erfahrungen» ein hohes Scoring aufwies, war ich wenig überrascht und dennoch hat mir das Vieles erklärt. Im Persönlichkeitsbereich gibt’s eine Vielzahl an Tests und Fragebögen. Deshalb lohnt es sich, hier genau hinzuschauen, ob die wissenschaftlich wirklich wasserdicht sind. Spoiler: Viele sind es nicht. Sobald typologisiert wird, sollte man Vorsicht walten lassen. Der NEO-PI-R erfüllt die Anforderungen an die wissenschaftlichen Gütekriterien und fusst auf dem anerkannten und breit verwendeten Modell der Big 5.

Der Fragebogen, der in der Selbstbeurteilung ausgefüllt wird, enthält Items, welche auf die fünf Dimensionen Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus geschlüsselt werden können. Im Selbstversuch erreiche ich bei den ersten beiden Dimensionen die markantesten Werte. Tiefer eintauchen in die theoretischen Untersuchungen dürfen wir im Unterricht von Prof. Benedikt Hell. Er erklärt uns, dass Metastudien einen Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und Berufserfolg zeigen. Diese Korrelation überrascht nicht so sehr. Denn gewissenhafte Personen agieren zielstrebig, genau und kontrolliert, sie gelten als organisiert und effektiv. In vielen Berufen wird dies zu Erfolg führen.

Die Dimension Offenheit ist vielleicht spannender. Sie misst die Offenheit bezogen auf neue Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse. Eine starke Ausprägung dieses Faktors sorgt für Erfindungsreichtum und Neugier. Offenheit korreliert schwächer mit Erfolg, einige Studien weisen aber einen positiven Zusammenhang zwischen Offenheit und Studienerfolg nach. Eine andere Studie zeigt, dass Offenheit die Studienzeit verlängert. Das ist nur auf den ersten Blick überraschend. In meiner Kombi der gewissenhaften aber offenen Studentin habe ich es geschafft, mein Studium nicht in die Länge zu ziehen, obwohl ich zwei zusätzliche Nebenfächer unterbringen wollte.

Immer wieder habe ich es mit Kund*innen erlebt, dass Ergebnisse aus Persönlichkeitstests das eigene Tun und Verhalten erklären können. Damit dies in der Beratung gelingt, sollte die Ergebnisinterpretation in einem ersten Schritt immer vom Kunden, von der Kundin gemacht werden. Denn so kann er oder sie die Bedeutung eines Resultats für das eigene Leben einordnen.

Vor kurzem sass ich zusammen mit einer jungen Kundin, nennen wir sie Madeleine. Die 22-jährige Frau hatte den Persönlichkeitsfragebogen NEO-PI-R ausfüllt und die Dimension Gewissenhaftigkeit erreichte Höchstwerte. Ich legte ihr das Resultat vor und fragte sie, ob sie sich darin wiedererkenne. Sie lächelte und meinet: «Wow, ja überraschen tut es eigentlich nicht, ich weiss ja, dass ich gewissenhaft bin, aber hier sehe ich jetzt, dass das auch im Vergleich zu anderen ein wirklich ausgeprägtes Ausmass hat.» Sie spricht weiter darüber, dass sie so manches Mal im Beruf erlebt hat, mehr zu machen als ihre Mitarbeitenden und sich darüber geärgert hat. Jetzt kann sie das besser einordnen. Es entwickelt sich ein interessantes Gespräch, in dem Madeleine sich selbst beschreibt, das Ergebnis an ihrem Alltag erklärt und sogar einige Massnahmen, welche sie angehen will auf dieser Ebene festlegt.

Einige Kund*innen sind sehr skeptisch, wenn es um diagnostische Verfahren geht. Oftmals weil sie befürchten, in eine bestimmte Kategorie gepresst zu werden. Aber dies ist nicht der Sinn von wissenschaftlich fundierten Tests. Es geht darum, dass bei jedem Menschen, gewisse Dimensionen ausgeprägter sind als andere. Das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach. Wichtig ist, die Kund*innen damit nicht allein zu lassen, sondern das Ergebnis in das tägliche Tun in Job und Privatleben einzubetten, zu erklären und wenn es sein soll auch Anpassungen vorzunehmen. Denn erst wenn ich mir einer Facette bewusst bin, kann ich aus ihr auch das beste rausholen oder mit ihr Frieden finden.

 

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