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Abkürzungen in allen Branchen

Veröffentlicht am 17. September 2021

Auch wenn pandemiebedingt noch vieles nicht in gewohnten Bahnen läuft und Familien zwischen Home Office, Home Schooling und temporär geschlossenen Betreuungseinrichtungen jonglieren, so gibt es doch auch Themen, an denen man erkennt, dass das Leben weiterläuft. Die Kinder werden zu Jugendlichen und kommen in höhere Klassen, das Ende der obligatorischen Schulzeit rückt ins Blickfeld und wie vor 10, 20, 30 oder 40 Jahren kommt die Frage: Wie geht es nach der Schule weiter? Für manche ist es klar, für viele aber ganz und gar nicht…

Vor mir sitzt eine junge Kundin, nennen wir sie Jil. Die 15-Jährige steht kurz vor dem Abschluss der Oberstufe. Sie hat bereits einige Schnupperlehren absolviert und hat Berufe gefunden, die ihr gefallen. Die Grafikerin ist ihr grosser Favorit. Als ich Jil heute begrüsse, kommt sie mit einem Lächeln und ich merke, dass sie was erzählen will. Das ist neu, denn bisher kam wenig Initiative. «Ich habe die Lehrstelle erhalten», sagt sie leise. Und ich antworte: «Hej, herzliche Gratulation, das ist ja toll! Wie geht es dir damit?» Ich erwarte weder Luftsprünge noch einen Freudentanz, noch nicht mal eine etwas lautere Stimme, aber irgendwie kommt so gar nichts an positiver Reaktion. Und Jil bestätigt mit folgender Antwort: «Es ist glaub gut, ja, ich denke schon. Die Eltern finden es super.» Dann schweigt sie wieder. «Und wie findest du es?», frage ich vorsichtig nach. Jil überlegt eine Weile und sagt dann: «Ich bin nicht sicher, vielleicht sollte ich ja doch lieber ins Gymi gehen?»

Es gibt junge Menschen, die wissen genau, was sie wollen. «Ich will ins Gymi, denn ich möchte Arzt oder Anwalt werden», höre ich dann. Oder: «Ich mag nicht weiter zur Schule gehen, 1 Tag Berufsschule reicht völlig, ich will jetzt eine Lehre machen.»

In der Beratung ist das Gymi für mich dann ein Plan, wenn die Jugendlichen überprüft haben, ob sie Schüler:in von Beruf sein wollen, denn nichts anderes ist die Wahl des gymnasialen Weges. Ich muss bereit sein, über mehrere Jahre weiter zur Schule zu gehen, viel zu sitzen, zuzuhören, zu lernen. Und zwar mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht nur Fächer, die mir gefallen, sondern das komplette Programm. Nicht umsonst heisst es, dass das maximale Allgemeinwissen etwa zum Zeitpunkt der Matura besteht. Dafür würde auch die hohe Erfolgsquote von Studierenden bei Formaten wie Wer wird Millionär? sprechen. Nur den Entschluss zu fassen, «mal ans Gymi zu gehen», damit lass ich meine Kund:innen aber nicht gehen. Es ist zentral, dass sie ein Berufsziel haben. Denn mit einer Vision, einem klaren Ziel, wofür ich eine Schule mache, lernt es sich leichter. Auch und gerade in Krisenzeiten. Und jeder, der das Gymi selbst absolviert hat, weiss, dass es diese gibt.

Mit Jil mache ich nun eine Auslegeordnung. Was spricht für die Lehre als Grafikerin, was für das Gymi? Wir füllen rasch einen Flipchart. Sie spricht begeistert von der Grafikerin und dem (vielleicht) zukünftigen Lehrbetrieb. Wir sprechen über die Möglichkeiten, die BMS parallel zur Lehre zu absolvieren. Und Jil merkt am Schluss des Gesprächs: «Eigentlich kann ich alle Berufe, die mich interessieren mit einer abgeschlossenen Lehre mit Berufsmaturität erreichen.» Ich nicke. «Und was, wenn ich in 5 Jahren etwas anderes will?» Ich schaue sie an und sage erstmal nichts. Und dann: «Was meinst du, was du dann tun könntest?» Sie überlegt und sagt: «Wenn es dann so ist, dann schau ich wieder auf das Bildungssystem, das wir besprochen haben. Du hast mir ja gesagt, dass ich die Matura auch später machen kann, wenn ich sie dann brauche und wieder Lust auf Schule habe.» Jil wirkt beruhigt am Ende des Gesprächs. «Ok, dann sag ich das jetzt meiner Oma, die wird das auch verstehen. Sie hat mich echt verunsichert mit ihrer Frage, ob ich denn nicht doch ins Gymi will.»

Da ich mit Jil ausführlich erarbeitet hatte, was sie gerne macht und gut kann und auch über das Thema Schule und Lernen gesprochen hatte, war die Grundlage bereits gelegt. Jil weiss heute, was sie kann, was sie gern macht und was sie will. Sie ist eine gute Schülerin, aber richtig Spass macht ihr die Schule nicht. Ich hab ein gutes Bauchgefühl, dass ihr die Lehre als Grafikerin fachlich und auch für ihre Entwicklung als Person gut tun wird. Und bin gespannt, in welche Richtung sie danach geht.

In den Beratungen spreche ich wenig über mich und meinen Werdegang. Ich habe aber gemerkt, dass ich Jugendlichen und auch Erwachsenen in Phasen der Umorientierung Druck nehmen kann, wenn ich erzähle, wie nicht-linear meine eigene Laufbahn war. Und wie doch jede Station zur gegebenen Zeit die richtige war. Manche finden einen Beruf, den sie ihr Leben lang ausüben möchten. Bei den meisten erzeugt die Vorstellung, einen Beruf finden zu müssen, der sie bis zur Pensionierung erfüllt, einen so grossen Druck, dass die Aufgabe fast unlösbar erscheint. Gerade in der aktuellen Zeit, wo vieles nicht wie gewohnt verläuft, sollten wir dort Sicherheit geben können, wo es möglich ist. Nicht-lineare Laufbahnen sind nicht nur die Zukunft, sondern bereits die Gegenwart.

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