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Abkürzungen in allen Branchen

Veröffentlicht am 9. April 2021

Ein unglaublich spannender Teil meiner beruflichen Veränderung besteht darin, mehr über Psychologie zu lernen. Und damit mehr über Verhaltensweisen, über Persönlichkeitsdimensionen und -facetten und darüber, wie unser Hirn funktioniert. Da ich Theorie immer selbst anwenden muss, um sie wirklich zu begreifen, habe ich mich durch die Ausbildung auch selbst deutlich besser kennengelernt und kann mir eigene Verhaltensweisen und Stolpersteine nun besser erklären. Und damit gewachsen ist die Ansicht, dass sich diagnostische Arbeit im Rahmen einer Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung definitiv lohnt.

Ich war 20 Jahre alt als ich Matura machte – ja, das war damals noch so, bevor ein Jahr gekürzt wurde. Ich hatte gerade mit dem Leistungssport aufgehört und mich nach langem hin und her für ein Geographiestudium entschieden. Die Naturwissenschaften faszinierten mich, die Mathematik, das Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur, aber auch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen, sowie die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel – lange vor der aktuellen Massenbewegung. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich mit dem Studium anfangen wollte oder konnte. Eine mögliche Richtung war, Gymilehrerin zu werden, das war immerhin schon mal ein Plan. Das Tollste am Studium war für mich, das ich vier Nebenfächer wählen könnte, so hatte ich mich zwar für ein Fach entschieden, irgendwie aber auch nicht. Neben Mathe und Geologie kam bei mir dann Politikwissenschaften dazu und Wirtschaft, dann noch Agrarökonomie, die ganze Palette, gern auch mal zweigleisig, weil ich mich nicht entscheiden konnte. Und es war toll, ich war Studentin von Beruf, fand überall Spannendes.

Da ich eine sehr ehrgeizige und gewissenhafte Studentin war, zog ich trotz überzähliger Nebenfächer das Studium in der geplanten Zeit durch und schloss trotz Zwischenjahr mit der Mehrheit meiner Mitstudierenden ab.

Viele Jahre später, im Sommer 20, sitze ich in der Vorlesung für Persönlichkeitspsychologie. Wir besprechen die Big 5 der Persönlichkeit: Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Diverse Persönlichkeitsfragebögen basieren auf diesem Modell oder einer Weiterentwicklung davon. Im Rahmen des Studiums haben wir die Möglichkeit, die Selbstanwendung zu machen. Das Resultat ist  naja – irgendwie so überhaupt nicht überraschend. Aber dennoch war ich erstaunt, dass das so klar rauskommt. Während sich die drei anderen Dimensionen um den Mittelwert bewegen, schlagen Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen nach oben aus.

Wir lernen im Unterricht Möglichkeiten der Rückmeldung und mein Kollege fragt mich: «Erkennst du dich darin?» Und dann: «Hast du konkrete Beispiele?» Ich stimme der ersten Frage zu und erinnere mich an mein Studium zurück: Die Offenheit für neue Erfahrungen, Neues lernen, noch mehr Wissen, überall Spannendes entdecken – Treffer. Gefahr, sich zu verzetteln, steht noch in der Auswertung. Das will ich zuerst von mir weisen, merke aber, dass das auch nicht ganz falsch ist.

Ein halbes Jahr später ich sitze an meiner Masterarbeit zum Thema Selbstkompetenzen. In meinem Deep Dive (mehr dazu hier) bin ich in die Theorie der Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie abgetaucht, sowie in Beratungsmethoden und Diagnostik. Es liegen Stapel wissenschaftlicher Papers physisch und elektronisch vor mir und ich wühle mich durch. Mein strukturiertes Vorgehen hat mich bereits dazu gebracht, eine Kapitelstruktur zu erstellen inklusive Subkapitel und die Literatur zuzuordnen. Dies deshalb, weil ich genau weiss, dass ich mich sonst von einem ins nächste Thema bewege, weil ich überall auch noch etwas Interessantes entdecke. «Offenheit für Erfahrungen» denke ich, das ist toll, wenn man forschend tätig sein darf, weil ich nie das Problem habe, zu wenig Material zu finden und ich an vielen Ecken auf Lesenswertes stosse.

Ein Monat später, ich führe mein zweites Experteninterview. Die Expertin verfügt über ein unglaublich reichhaltiges Wissen und eine jahrelange Erfahrung als Beraterin und Coach. In jeder ihrer Antworten fallen mir Punkte auf, die auch noch spannend und betrachtenswert sein könnten. «Grrrr» – Offenheit für Neues, das hilft, wenn man innert nützlicher Frist eine Arbeit schreiben soll nicht wirklich. Aber da ich mir jetzt sehr bewusst bin, dass hier ein Stolperstein lauert, kann ich mich immer wieder hinterfragen, ob ich hier jetzt grad zu weit gehe. Das klingt jetzt effizient, ist es aber nicht immer, denn oft brauche ich einen externen Blick. Mein Mann liest die ersten Teile meiner Arbeit und deutet auf einen Absatz: «Das ist zwar spannend, aber was hat das mit deinem Thema zu tun?» Punkt für ihn, ich merke, während ich zur Erklärung ansetze, dass er Recht hat und streiche den Absatz raus, verschiebene das zugehörige Paper in den Folder «weiterführende Literatur».

Auch wenn man sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinandergesetzt hat, schreiben sich Arbeiten (leider) auch nicht von allein. Aber man wundert sich weniger stark, warum man immer wieder in dieselben Herausforderungen rennt. Und man kann selbst darauf achten, dass man vielleicht nur in jede zweite Falle tappt. Zur Dimension Gewissenhaftigkeit nehme ich euch gern nächste Woche mit, denn die begleitet mich schon lange und ich bearbeite sie auch sehr stark. Und: Das gelingt gar nicht soo schlecht. Aber mehr dazu nächste Woche.

Persönlichkeitsfragebögen sind immer eine Selbstevaluation. Deshalb hier auch die Warnung vor Tests auf Online-Portalen. Es lohnt sich sehr, solche Fragebögen in einem geregelten Setting zu machen und die Auswertung mit einer Fachperson vorzunehmen. Validieren des Ergebnisses heisst dies in der Fachsprache. Und das mache ich mit meinen Kund*innen. Wir führen die Testdiagnostik durch und nehmen sie als Gesprächsgrundlage. Der Kunde oder die Kundin interpretiert und ordnet den Dimensionen die für ihn/sie stimmigen Situationen zu. So manch ein Aha-Erlebnis habe ich schon in Beratungen erlebt. Und Aussagen wie: «Es ist krass, wie gut ich mir hier erkenne. Irgendwie war es mir schon bewusst, aber jetzt kann ich dem doch viel besser begegnen und kann gezielt darauf achten», meint eine Studientin. Genau so ist Diagnostik hilfreich eingesetzt. Nicht der Test sagt dir, wer du bist, sondern du selbst findest es heraus, durch die Brille des Testergebnisses.

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